Bild: Reto Martin
"Kiffer schlagen sich nicht, sie singen."
Helge Timmerberg und sein Buch über Cannabis
Der Wahl-St.Galler Helge Timmerberg hat das passende Buch zur Diskussion um die mögliche Legalisierung von Cannabis geschrieben: In «Joint Adventure» berichtet er, welche Auswirkungen die Legalisierung in anderen Ländern hatte – und erzählt freimütig von seinen Erfahrungen aus 50 Jahren Kien. Ein Gespräch über THC-Müsliriegel, Hausdealer in St.Gallen und wie man Jugendliche schützt.
Julia Nehmiz
In St.Gallen Rotmonten ist Helge Timmerberg seit 20 Jahren daheim – wenn er nicht gerade in seinem zweiten Zuhause Wien lebt oder unterwegs auf Reisen und Recherchen ist. Der 71-Jährige empfängt in seiner kleinen Wohnung gut gelaunt zum Gespräch, kocht Nescafé und raucht quasi Kette. St.Gallen sei seine Schreibklause, sagte er einmal. Hier hat er auch an seinem aktuellen Buch «Joint Adventure» gearbeitet, das heute erscheint.
Sie erzählen seit Jahren offen, dass Sie nur bekifft schreiben. Wie viele Joints haben Sie für Ihr neues Buch «Joint Adventure» geraucht?
Helge Timmerberg: Das weiss ich nicht. Ich habe nur eine andere Zahl, die Journalisten in Berlin von der «TAZ» haben mich gefragt, wie viele Joints ich in meinem Leben geraucht habe. Da habe ich mal 50 Jahre genommen, täglich einen Mittelschnitt von drei Joints, das heisst 50’000 Joints.
Ganz schön viel.
Das hört sich relativ wild an, aber wenn man das auf Alkohol übersetzt, sind das drei Bier pro Tag, ein Alkoholkonsument schluckt das auch weg.
Warum haben Sie ein Buch über die Legalisierung von Cannabis geschrieben?
Als eine Art Aufklärung? Ich wollte dieses Buch immer mal schreiben, das ist auch mit dem Verlag seit Jahren im Gespräch, denn: Das ist eigentlich ein grosses Thema.
Wie das?
Es gibt fünf Millionen Cannabis-Konsumenten im deutschsprachigen Raum. Also die Polizei geht von zweieinhalb aus, von denen sie es sicher weiss, und sagt etwa das Doppelte ist dann noch der Graubereich. In Österreich kiffen wahnsinnig viele. Ich nehme an fast mehr als in Deutschland, also unfassbar.
Und in der Schweiz?
Da kiffen auch sehr, sehr viele. Das ist eine grosse Zielgruppe, und es ist auch gesellschaftlich ein grosses Thema. Ich wollte das Buch schon ewig machen, und durch die Legalisierungsbemühungen in Deutschland kommt es plötzlich voll auf den Tisch.
Im Buch bereisen Sie Länder, in denen Cannabis legalisiert wurde. Sie beschreiben, wie gesund Cannabis ist, welche Heilwirkungen es haben kann, aber auch, wie heftig es wirken kann.
Ich will mir selbst nicht vorwerfen, und ich will mir auch nicht vorwerfen lassen, dass ich etwas verherrliche, aber auch nicht, dass ich etwas verteufle. Denn die Erlebnisse da oben im Riff-Gebirge mit den marokkanischen Bauern, die waren paradiesisch. Diese zwei Züge von deren frischen Marihuana, dazu die ganze Umgebung, das lasse ich dann natürlich drin. Oder das alte Sprichwort der Perser, das habe ich im Buch so oft es ging geschrieben.
«Ein Körnchen Haschisch macht dich zum Weisen, das Körnchen zu viel zum Esel.»
Genau. Die Bauern im Riff-Gebirge, wo 50 Prozent des gesamten Cannabis der Welt herkommt, die haben das auch erzählt und mir Tipps gegeben: Mit etwa der Menge Haschisch, so gross wie ein Streichholzkopf, dann hast du kein Problem.
Wobei ein Problem hatten Sie dann doch. Sie hatten sich für das Buch einen Cannabis-Entzug vorgenommen und am 29. Tag aufgegeben.
Das ist das zweite Problem. Das erste waren die CannabisEsswaren und die Überdosis, wo man dann so auf Paranoia kommt. In den USA habe ich einen THCMüsliriegel gegessen, ich war hungrig, also habe ich den in zwei Hälften unterteilten Müsliriegel ganz gegessen. Ein Fehler. Jede Hälfte enthielt 15 Milligramm THC, das ist schon zu viel zum Rauchen, aber 30 Milligramm zum Essen, das ballert dich richtig weg. Mir war wichtig, dass ich dieses Müsliriegel-Beispiel ausgeschrieben habe. Psychisch ist das die totale Paranoia.
Und körperlich?
Physisch bist du davon so niedergebrettert, dass du völlig bewegungsunwillig bist. Du legst dich einfach sofort irgendwo hin, kannst weder für dich noch für jemand anderen etwas Gefährliches machen. Beim Rauchen ist die Überdosis nach spätestens zwei Stunden weg, beim Essen kann das vier bis sechs Stunden dauern und in mehreren Schüben kommen. Aber die Überdosis an sich ist für den Körper insofern nicht gefährlich, weltweit ist noch nie jemand an einer Überdosis Hasch gestorben.
Aber der Entzug, den Sie im Buch beschreiben, der war nicht ohne.
Also es geht. Man hat jetzt keine krassen Nächte, die in irgendeiner Weise vergleichbar wären mit dem Entzug von Heroin oder Koks, oder was noch schlimmer ist, der Entzug von Benzos und Opioiden. Ich kiffe fast mein ganzes Leben und ich beschreibe meine Erfahrungen. Da sind helle und dunkle Seiten, und für die dunkle Seite brauchte ich einfach auch den Entzug, weil ich weiss, das fällt mir nicht leicht. Das muss jeder wissen, der mit Haschisch anfängt.
Man könnte Ihr Buch auch als Warnung lesen, bloss nicht mit dem Kiffen anzufangen, wenn es gar nicht mehr geht, damit aufzuhören.
Das geht schon, es haben ja auch genug aufgehört. Aber es ist eine andere Motivation, wenn du sagst, ich will mit dem Kiffen ganz aufhören, als wenn du sagst, um zu beweisen, dass ich aufhören kann für so ein Buch, mache ich jetzt mal einen Monat Pause.
50 Jahre kiffen, meist in Ländern, wo es höchstens geduldet ist. Wie haben Sie sich auf der Recherchereise in den Ländern gefühlt, in denen das nun legal ist?
Ich litt immer noch so unter Phantomschmerzen, es war legal, aber ich hatte trotzdem immer Sorge, dass gleich die Polizei um die Ecke kommt oder jemand an die Hoteltür klopft und sagt, was machst du da? Obwohl ich wusste, es kann nichts passieren, es ist legal.
In der Schweiz ist Kiffen eigentlich nicht erlaubt, aber Besitz und Konsum bleiben ohne Strafe und werden nur mit einer Ordnungsbusse geahndet, wenn man weniger als zehn Gramm auf sich führt. Wie erleben Sie St.Gallen als Kiffer?
St.Gallen ist eigentlich wie überall. Wo man wohnt, hat man meistens auch einen Hausdealer. So nennen wir die. Die kommen nicht ins Haus, sondern die sind zu Hause, man besucht die. Manche haben feste Arbeitszeiten, zwischen denen du auf keinen Fall anklingeln darfst. Und die sind für mich kein Teil der Mafia.
Sondern?
Die Mafia mixt die Haschischsorten, das habe ich in Marokko nochmals erfahren, die mischen mit Zucker, Kaffee und Fischmehl, damit es mehr und der Gewinn grösser wird. Mit diesen Mischungen und dem ganzen Kram haben diese sogenannten Hausdealer nix zu tun. Die Hausdealer finanzieren mit dem Verkauf ihren Eigenkonsum. Also ich rufe meinen Hausdealer in St.Gallen an und dann gehe ich dahin. Meist kaufe ich fünf Gramm, und damit komme ich im Schnitt zehn bis 14 Tage aus.
Haben Sie mal ausgerechnet, wie viel Geld Sie in Joints weggeraucht haben?
Naja, also ich habe das nie auf Joints umgerechnet. Aber bei meiner Portionierung, weil ich immer so Krümelchen mache, wirklich wenig, komme ich von einem Gramm locker auf fünf bis sieben Joints. Das Gramm kostet mich zehn Euro. Bei 50’000 Joints in 50 Jahren schätze ich mal so 70’000 Euro. Rechne das bitte mal aufs selbe um beim Bierkonsum, bei drei Bieren am Tag.
Was von Gegnern auch immer angeführt wird: Man muss Kinder und Jugendliche vor Cannabis schützen. Und das klappt schon beim Alkohol nicht.
Durch das Alkoholverbot für Jugendliche bis 18 Jahre klappt schon etwas, aber es klappt natürlich nicht wirklich. Und beim Dope wird es dasselbe sein. Nur, durch das Nicht-Legalisieren verbessert sich ja nichts. Denn ein Jugendlicher, der kiffen will, kifft. Du kriegst es an jeder Ecke. Wenn man nicht legalisiert, entscheidet man eigentlich nur, dass die Jugendlichen weiter an den Schwarzmarkt und an Dealer geraten, die nicht so sind wie meine netten Hausdealer. Sondern auf der Strasse sagen die dann auch, ich habe gerade kein Marihuana, aber ich habe ein bisschen Koks, willst du das mal probieren? Dazu hat das Cannabis schlechte Qualität und ist hochpotenziert. Und wenn die Jugendlichen erwischt werden, steht das irgendwo in ihren Papieren. Mit der Legalisierung fällt dieser ganze Scheiss flach. Wir sind eine freie, offene Gesellschaft, und da kannst du Drogen einfach nicht raushalten. Die Droge hat sich durchgesetzt, und es wird immer mehr.
Wie das?
Bei allen Problemen, die die Welt hat, rutschen wir trotzdem in eine Freizeitgesellschaft. Und dafür ist Kiffen super. Cannabis ist eine Droge, die genügsam macht. Durch die Sensibilisierung der Sinne schmeckt jeder Scheiss viel besser, Musik hört sich besser an – ich habe im Buch geschrieben, ein Kiffer braucht Musik, Netflix und, äh, was war das noch, hab ich vergessen. Das merke ich ja bei mir selbst, das ist nicht wie beim Koks, diese Gier, du musst immer mehr mehr mehr, auch dicke Autos und Kohle Kohle Kohle, das brauchst du als Kiffer nicht. Gesellschaftlich wird das Kiffen wahrscheinlich immer interessanter werden. Auch für Politiker. Wer nicht will, dass die Leute auf der Strasse Radau machen, muss Cannabis legalisieren. Kiffer schlagen sich nicht auf der Strasse, die singen.
Warum ist Ihnen die Legalisierung so ein Anliegen?
Wenn du Weintrinker bist und seit 50 Jahren ist Weintrinken verboten und du bekommst es nur in dunklen Ecken am Bahnhof, und wenn du von der Polizei erwischt wirst, kriegst du jede Menge Ärger, 50 Jahre lang, und plötzlich soll Weintrinken legalisiert werden, das wird dich als Weintrinker so begeistern wie mich als Kiffer.
Und für Sie selber, was würde sich ändern?
Wäre doch super, raus aus dieser Illegalität. Viele behandeln einen immer noch abschätzig als Kiffer, dann denke ich immer, ey, ich verdiene fünfmal so viel wie du und hab 10’000 Mal mehr gesehen. Vielleicht bin ich ein Kiffer, aber ich hänge nicht im Rinnstein. Ich habe mit dem Kiffen eigentlich viel geschafft, da im Regal stehen 17 Bücher. Und mit dem Achtzehnten fange ich gerade an.